„Aurora“ bringt Studenten Praxis-Schock
Schulschiff Ehemaliger Tonnenleger „Norden“ hat 51 Jahre auf dem Buckel. Für den Herbst plant Lehrer und Kapitän Marc Petrikowski wieder eine Ausbildungsreise durch die Ostsee. Den Alltag an Bord kann man nicht im Simulator erlernen.
Leer - Die meisten Seefahrtschüler und -studenten haben mindestens ein halbes Jahr Praxis auf einem Schiff hinter sich, wenn sie ihre Ausbildung an der Seefahrtschule Leer beginnen. Aber nur die meisten. Wer Reedereilogistik studiert, muss nicht zur See gefahren sein. So kommt es, dass Reedereilogistik-Studenten auf der „Aurora“ hin und wieder der Praxis-Schock ereilt.
Die „Aurora“, ein ehemaliger Tonnenleger : 41 Meter lang, 8 Meter breit, Tiefgang knapp 2 Meter, Höchstgeschwindigkeit 8,5 Knoten : ist seit 1998 Ausbildungsschiff der Seefahrtschule Leer. 16 Personen finden an Bord Platz. Wenn die „Aurora“ in See sticht, sind in der Regel 12 oder 13 Studenten an Bord, dazu zwei Lehrkräfte als Kapitän und Offizier, manchmal auch ein Koch.
Das Schiff hieß früher „Norden“, gehörte dem Wasser- und Schifffahrtsamt Emden und war auf Norderney stationiert. Es hat 51 Jahre auf dem Buckel. „Hier ist alles halbwegs museumsreif“, sagt Marc Petrikowski, Seefahrtoberlehrer an der Fachschule Seefahrt, beim Blick in den Maschinenraum, „aber es funktioniert.“ Das Schiff werde regelmäßig von den Sicherheitsbehörden überprüft. Es ist mit modernsten Navigations- und Kommunikationsgeräten ausgestattet.
Unterwegs mit der „Aurora“ lernen Studenten vieles, was sie im Simulator nicht lernen können: Wachwechsel, plötzliche Wetterwechsel, nachts plötzlich aus der Koje gescheucht zu werden, Kommunikation mit anderen Schiffen und mit Häfen, Provianteinkauf, feucht-fröhliche Partys : und den Zwang, auf engstem Raum mit Leuten auszukommen, denen sie an Land aus dem Weg gehen würden.
Manchmal fliegen an Bord die Fetzen. „Dann greift der Kapitän regulierend ein“, sagt Kapitän Petrikowski, „und macht deutlich: Hier macht nur einer Krach, und das ist der Kapitän.“ Notfalls könnten die Streithähne auch nach Hause geschickt werden, doch das sei auf der „Aurora“ noch nicht vorgekommen, sagt der 38-Jährige, der seit 2000 an der Fachschule unterrichtet und vorher bei der Leeraner Reederei Briese arbeitete.
Die Kombination von Theorie, Simulation und Praxis macht in Petrikowskis Augen eine gute Seefahrer-Ausbildung aus. „Im Simulator haben die Studenten immer im Kopf, ist ja nur ein Simulator, notfalls kann ich die Reset-Taste drücken und von vorne anfangen“, meint Petrikowski, „auf der ,Aurora´ klappt es : oder es klappt nicht.“ Im vergangenen Jahr rammte das Schulschiff eine Tonne auf der Ems und war anschließend ein halbes Jahr außer Dienst. Etwas Schlimmeres ist aber noch nie passiert. „Bei schlechtem Wetter geht mal Geschirr kaputt“, sagt Petrikowski, „nichts Außergewöhnliches.“
Wenn er eine längere Ausbildungsfahrt plant, lässt der Kapitän die Schüler und Studenten die Route mitbestimmen. Im April und Mai ist die „Aurora“ in vier Wochen 3 000 Seemeilen durch die Ostsee geschippert (die OZ berichtete). Solche Fahrten sind bei den Studenten sehr beliebt. Die Crew wechselte in vier Wochen fünf Mal. Dennoch mussten einige Interessenten auf die nächste große „Aurora“-Ausbildungsreise im Herbst vertröstet werden. Es geht wieder in die Ostsee. Für Petrikowski bedeuten solche Fahrten „eine schöne Abwechslung vom Schulalltag, aber auch viel Arbeit, weil nur zwei Ausbilder an Bord sind“. Die Ausbilder genießen als Kapitän und Erster Offizier aber immerhin den Luxus, eine Kabine und ein Waschbecken ganz für sich allein zu haben.
Bleibt nur eine Frage: Wieso heißt die „Aurora“ eigentlich „Aurora“? Die Stadt Leer, die den Liegeplatz gegenüber der Waage unentgeltlich zur Verfügung stellt, hatte das Namensrecht. Aurora ist der Name der römischen Göttin der Morgenröte. Das erste Segelschiff, das im 19. Jahrhundert von Leer aus Amerika ansteuerte, war nach dieser Göttin benannt, und das Schulschiff wiederum ist nach diesem Leeraner Schiff benannt. Weil sich routinemäßige Werftarbeiten an der „Aurora“ wegen des schlechten Wetters verzögern, kann sie am Sonnabend : anders als geplant : nicht besichtigt werden.