Rarität im Briefkasten

[Mork]

Heute ist etwas passiert, etwas, was schon lange nicht mehr geschah:

Ich habe in Zeiten von fb, Email, Skype, WhatsApp & Co. einen wunderschönen, handgeschriebenen, mehrseitigen Brief
völlig analog per Post zugestellt bekommen.
Nach Überwindung der anfänglichen Irritation darüber (für gewöhnlich fische ich aus dem Briefkasten nur Rechnungen,
Zeitung, dann und wann ein paar Ansichtskarten und Ofenanzünder (fka Werbung)) öffnete ich den Brief - anders als die
Restpost, die nur achtlos aufgerissen wird - sacht per Brieföffner und las ihn.
Ich las ihn anders als eine Email und auch anders als ich eine Email identischen Inhalts gelesen hätte, es ist etwas voll-
kommen anderes ob man vor einem Display sitzt, egal ob im Handyschrumpfformat oder daheim vor den 27-Zöllern,
oder einen Brief in der Hand hält.
Man ist aufmerksamer, weniger abgelenkt durch sonstige Geschehnisse auf dem Bildschirm, viel näher beim Verfasser.

Woran mir schlussendlich aber tatsächlich bewusst wurde dass sich da ganz still und leise etwas sehr schönes aus
meinem Leben geschlichen hat war der Umstand, dass alles irgendwo seinen Platz hat, ich habe meine Emailkonten
strukturiert, finde auch 10 Jahre alte Emails in Sekunden, mache Sicherungen, Papierpost wird - oft ungeöffnet -
abgeheftet und archiviert (was soll mir die Telekom zB schon schreiben außer "den Monat will ich soundsoviel Geld von
dir, ich hol's auch gleich selbst von deinem Konto, müh' dich nicht"), meine längste Skype-Historie ist ebenfalls älter als
10 Jahre.
Aber ich habe keinen Platz mehr für eingehende Privatpapierpost! Ich wusste nicht wo ich diesen mit viel Zeit verfassten
Brief aufheben sollte, nach meinem letzten Umzug habe ich dafür mangels Notwendigkeit schlicht keinen Platz dafür
bestimmt - was auch nie auffiel, wer keinen Regenschirm hat, braucht auch keinen Regenschirmständer.
Ihr versteht was ich meine.

Nachdem ich also keinen "aktuellen" Platz dafür hatte fragte ich mich, wo zum Teufel denn Post aus früheren Tagen steckt,
ich schmeiß' das ja sicher nicht weg und begann zu suchen, wurde fündig und dann begann eine kleine Zeitreise, die ich
heute Abend oder bei nächster kommender Gelegenheit, bei welcher ich ungestört sein werde, fortsetzen will.

Naja, jetzt jedenfalls habe ich wieder einen Platz dafür, einen kleinen nur, den ich hoffe durch gezielte Provokation (selbst
Briefe verfassen) auch gelegentlich mal nutzen zu können und zu dürfen.

Und nein, dass ist keine Früher-war-alles-besser-Arie, aber früher war vieles eben doch anders.
"Anders" ist im vergleich zu "gewöhnlich" nunmal besonders und selten - mal besonders umständlich, mal selten bescheuert
oder eben auch besonders schön.
Ich würde gar nicht alles, was ich an privater Kommunikation digital austausche, in handgeschriebener Papierform haben
wollen - alleine die Vorstellung schon, oh Gott oh Gott, der arme Briefträger, der wegen einer völlig sinnfreien Aussage,
welche Verteilt auf 12 WhatsApp-Messages kam nun 12 Briefumschläge zu schleppen hat - pro Chat und Adresse wohlgemerkt,
die Buben wären nur noch mit 'nem Actros unterwegs und man selbst bekäme doch spätestens beim vierten geöffneten Um-
schlag in welchem nix drin is' außer einem fast leeren Blatt Papier mit einem winzigen, gekrakelten Kreis mit ein paar Punkten
und Linien darinnen Mordlust.

Darin liegt der Unterschied: Etwas digitales zu verzapfen kostet a) kein Geld, b) kaum Zeit und c) keine Mühe, man kann es
immer, im Zug, beim Anstehen beim Dönermann oder beim Scheißen, zwischendurch eben, sehr oft dient es mehr dem
eigenen Zeitvertreib als tatsächlichem Mitteilen - was man als Leser dann oft auch merkt: dem anderen ist schlicht nur fad.
Wenn etwas keine Mühe macht gibt man sich auch keine damit.
Ein Blatt Papier auf den Tisch zu legen, einen Stift in die Hand zu nehmen und sich VORHER zu überlegen was man schreibt
weil Änderung am bereits Geschriebenen wenigstens hässlich, manchmal aber auch schlicht unmöglich ist, das fertige Produkt
dann einzutüten, echtes Geld (aka Briefmarke) draufzukleben (und ggfs. erst zu besorgen) und dann auch noch einzuwerfen,
das kostet Mühe.
Diese Mühe spiegelt sich im Inhalt wieder und zeigt einem gerade in der heutigen Zeit den eigenen Stellenwert beim Verfasser.

Ein handgeschriebener Brief ist daher viel, viel mehr als nur ein handgeschriebener Brief. Ich hoffe ich kann mir das merken.

Warum ich's schreibe? Keine Ahnung. Aber so deutlich wie eben vorhin ist mir dieser schleichende Menschmechanisierungs-
prozess samt meinem immer weniger widerspenstigem Teilnehmen daran länger nicht mehr aufgefallen.

[Janus]

Du kannst ja aus dem Brief ein Kunstwerk machen.
Einfach rahmen und an die Wand hängen.

Das meine ich durchaus ernst!



So in etwa ....

[Mork]

Zitat von Janus

Du kannst ja aus dem Brief ein Kunstwerk machen.
Einfach rahmen und an die Wand hängen.

Das meine ich durchaus ernst!

Das würde in diesem Fall wenigstens ein seeeehr privater Triptychon werden... lieber nicht

[Freibeuter]

Erik!
Solltest Du je ein Buch rausbringen -ich werde es lesen. Deine Schreibe ist einfach Wahnsinn.

[Mork]

Zitat von Freibeuter

Erik!
Solltest Du je ein Buch rausbringen -ich werde es lesen. Deine Schreibe ist einfach Wahnsinn.

Mach' mich nicht verlegen, rot steht mir nicht.

Danke!

[wolle-petri-heil]

Ich dachte du liest den Brief jetzt vor?

[Janus]

Zitat von Mork

...Triptychon werden...

Warum nicht?
Das T. hat den Vorteil es zuklappen zu können.
Da bleibt Vertrauliches vertraulich und nur befugten Augen zugänglich.

Warum mich dein Thema berührt?
Weil ich auch einen Brief gerahmt an der Wand hängen habe, in Sütterlin schreibt meine Mutter ihrer Mutter von meiner Geburt ... für mich ein Zeitdokument!

[Mork]

Zitat von wolle-petri-heil

Ich dachte du liest den Brief jetzt vor?

Naja, selbst wenn ich's würde, brächte dir das aber eher wenig, nein?

[wolle-petri-heil]

War auch nicht ganz ernst gemeint...
Ich denke das ist auch so rüber gekommen.

[Mork]

Zitat von wolle-petri-heil

War auch nicht ganz ernst gemeint...
Ich denke das ist auch so rüber gekommen.

Ist es. Bin ohne Grinsie drauf eingegangen weil ich bei dir auch keinen fand.

Jetzt ist er da.

[Mork]

Kurzes Update:

Es klappt.

Wie Hannibal schon wusste: Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!

Ich habe jetzt einen hübschen und würdigen Platz dafür und darf den
auch schon benutzen.

Oh, der wird überquelllen durch Weihnacht und Silvester.
Gunst der Stunde!

[Thomas S]

Das ist doch das Gleiche wie mit den Weihnachtskarten ! Wer schreibt denn heute noch eine echte Weihnachtskarte ?
Heute gibt es eine Mail mit irgendwelchem blinkenden Schexxxß oder einem besoffenen Elch oder eine animierte Maus singt einen Song..
Persönlich ist anders..und daran erkennt man auch die Menschen denen man etwas wert ist..

[dutschmann]

Erik, vielen Dank für Deinen Bericht. Habe leider nur Deine Zeilen überflogen

-wenig Zeit-

nee Spaß.

Deine Zeilen spiegeln genau meine Empfindungen wieder.

Ich schmeisse Grußkarten nach einer gewissen Zeit einfach weg. Na klar würden sich doch sonst stapeln und es steht sowieso immer das gleiche drin.

Nicht immer.......

Erik, als ich Deine Zeilen las erinnerte ich mich an einem Dankesschreiben an Mich von meinen Eltern.
In einer schönen alten geschwungenden Schrift las ich die Zeilen und mekte beim Lesen wie sich teilweise meine Kehle zuschnürte mein Herz anfing zu pochen und ich von Zeile zu Zeile merkte mit welcher Hingabe mein Vater die Zeilen niederschrieb.
Er durch sein Alter und Krankheit doch innerhalb eines Satzes absetzen mußte , neu ansetzen mußte.

Nach dem lesen nun, dachte Ich mir den Brief schmeißt Du im Leben nie weg. Aber wohin damit? Im Bilderrahmen ein tolle Idee, aber zu privat. Finde Ich. Vielleicht liege ich auch falsch.Und im Gegenteil warum nicht zeigen....
Dann kam der Gedanke einscannen. genau schön digitalisieren.Wie alles heutzutage. Kann man immer schnell drauf zugreifen.
Genau da liegt der hase im Pfeffer, wie Urlaubsbilder schnell draufzugreifen und aber leider nur noch schnell überfliegen.
Früher habe Ich eine Flasche Rotwein geöffnet mich mit meiner Frau zusammengesetzt und Fotoalben durchgeblättert. Viele Erinnerungen aufgefrischt , über bilder gelacht und geredet.
heute sitze ich mit dem Laptop auf dem Schoß und schaue Bilder von der Festplatte , alleine. Meine Frau ist im Bad oder in der Küche....ich überfliege die Bilder alleine....
nee so soll " M e i n " Brief nicht enden....als Karteileiche auf dem Läppi.
Der kommt zu meinen wichtigsten Dokumenten und wird mal von Zeit zu zeit herausgenommen und vom Papier gelesen.


Danke fürs lesen


gruß Jörg

[Gebhard]

Was Du schreibst, Erik,
ist richtig ...... wie Du es schreibst, ist klasse !